Ich möchte mal ein Thema in den Raum schmeißen, das mich seit einiger Zeit beschäftigt und auch irgendwie ärgert.
Hintergrund des ganzen ist ein aktueller Fall in Berlin, obwohl dieser beliebig austauschbar ist, da es hier fast tagtäglich ähnliche Geschehnisse gibt, die mal schwerwiegender und mal harmloser sind. Da hatte ein (angeblich betrunkener) 18-jähriger einen jungen Mann (30) im Frühjahr in einem U-Bahnhof fast getötet. Der Täter hatte provoziert, das Opfer (ebenfalls angetrunken) war aufgestanden und hatte weggehen wollen. Nach einem Handgemenge hat der Täter das Opfer mit einer halbvollen Plastikflasche niedergeschlagen und ihm danach mehrfach mit voller Kraft auf den Kopf getreten. Das ganze könnt ihr im Detail nachlesen und auch per Video anschauen (es wurde per Überwachungskamera gefilmt), wenn ihr mal nach Torben P googelt. Ich hab das bewußt aber nicht verlinkt, da es erstens nicht jedermanns Sache ist und zweitens nichts zur Sache beiträgt.
Es geht mir nämlich mehr um folgendes:
Der Täter hat die Tat begangen, er hat gestanden. Die Anklage lautet auf versuchten Totschlag, die Strafe lautet nach § 212 StGB auf mind. 5 Jahre bis lebenslänglich. Soweit alles ok.
Nun kommts. Der Täter plädiert wegen seiner angeblichen Volltrunkenheit (über 3 Promille zum Tatzeitpunkt) auf Strafmilderung nach § 21 StGB. Dieser lautet wie folgt:
§ 21 Verminderte Schuldfähigkeit
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Eine Psychologin hat im Prozeß bestätigt, dass aufgrund der Alkoholisierung nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Täter seine Schuld nicht erkennen konnte. Damit wäre eine verminderte Schuldfähigkeit gegeben.
Das deutsche Strafrecht sieht für diesen Fall nach § 49 StGB folgendes vor:
§ 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich
im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,
im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,
im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,
im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen
Das bedeutet erstens, dass das Gericht das Strafmaß vermindern muss, zweitens dass die Höchststrafe 3/4 der normalen Strafe betragen darf und drittens dass bei Totschlag die Mindeststrafe 2 Jahre (idR auf Bewährung) beträgt.
Zudem sagt § 323a StGB, dass bei kompletter Strafunmündigkeit (also § 20 StGB) wegen Volltrunkenheit anstelle der gesetzlich vorgeschriebenen Strafe eine Höchststrafe von 5 Jahren bei Totschlag tritt.
Also fassen wir zusammen: Ich schlage jemanden tot, ohne getrunken zu haben. Dann blühen mir mind. 5 Jahre, im schlimmsten Fall lebenslänglich. Besaufe ich mich vorher, bekomme ich höchstens 3/4 der normalen Strafe. Saufe ich besonders viel und bin vollkommen strafunmündig, bekomme ich höchstens 5 Jahre. Saufe ich viel und bekomme ich eine gute psychologische Einschätzung, so komme ich eventuell mit Bewährung davon.
Im Gegensatz dazu steht beispielsweise § 316 StGB, den ich hier mal zitiere:
§ 316 Trunkenheit im Verkehr
(1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315d) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 315a oder § 315c mit Strafe bedroht ist.
(2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht.
Das heißt, ich bekomme bis zu einem Jahr Gefängnis, wenn ich mich besaufe und Auto fahre, obwohl nichts weiter passiert ist. Das bloße Trinken und Autofahren wird also bestraft, obwohl niemand zu Schaden gekommen ist. Es handelt sich also um eine reine Abschreckungsstrafe.
Nun kommen wir wieder zurück zum Ausgangspunkt. Wo ist die Abschreckung des Strafgesetzbuches für sonstige Delikte im Vollrausch? Wen wundert es, dass vor allem die urbane Gesellschaft weiter verroht und Angriffe wie der oben beschriebene Fall an der Tagesordnung stehen? Wo ist die Gerechtigkeit dem Opfer gegenüber, der sein Leben lang an die schrecklichen Ereignisse wird denken müssen oder gar behindert bleibt oder aber sogar verstirbt???
Meiner Meinung nach sollte das Strafrecht so ausgestaltet sein, dass Suff sich strafverschärfend und nicht strafmindernd auswirkt, genau wie im Straßenverkehr, wo die Strafe bei Trunkenheit am Steuer höher ist als ohne.
Es bleibt abzuwarten, wie in dem von mir beschrieben Fall geurteilt wird, die Urteilsverkündung wird zum 19. September erwartet. Das von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafmaß von lediglich 4 Jahren (in Anbetracht der obigen rechtlichen Zwänge) läßt jedoch schon heute tief blicken.